Staatsorgane sind in Deutschland offensichtlich unfehlbar!
Sobald das Verhalten von Staatsorganen kritisiert wird, kommen reflexartig Stellungnahmen aus der Politik, insbesondere aus den verantwortlichen Ministerien, die jegliche Kritik zurückweisen, das Verhalten der Staatsorgane rechtfertigen (dabei nicht selten die Kritiker beschuldigen) und sich vor ihre Organe stellen. Das gilt nicht nur für die konservativen Politiker.
Nun ist es ja zunächst einmal nachvollziehbar, dass sich der Vorgesetzte oder Dienstherr vor seine Mitarbeiter stellt und sie vor Kritik in Schutz zu nehmen versucht. Es gibt aber einen erheblichen Unterschied zwischen dem berechtigten Schutzinteresse von Mitarbeitern, insbesondere bei Staatsorganen, vor Kritik an ihrer Arbeit bei rechtkonformer und verhältnismäßiger Ausführung ihres verfassungsgemäßen Auftrages einerseits und einem eben nicht mehr rechtskonformen oder verhältnismäßigem Verhalten andererseits.
Es geht dabei nicht um das Verhalten einzelner, das, einfach weil auch in Staatsorganen „nur“ Menschen arbeiten, natürlich fehlbar sein kann. Im Gegenteil: Oft werden einzelne (ausführende) Mitarbeiter geopfert, obwohl ihr Verhalten nur Ausdruck einer systematischen Fehlentwicklung innerhalb der Organe ist. Es geht um jene systematischen Aktivitäten und Tendenzen, die letztlich zu einem Eigenleben und einem eigenen Staatsverständnis der Organe führen, in denen jedes Verhalten im Sinne dieses, letztlich von der Verfassung losgelösten Staatsverständnisses, gerechtfertigt ist.
Der Staat nämlich – wir erinnern uns? – ist kein für sich eigenständiges Subjekt. Der Staat ist kein Selbstzweck. Den Staat gibt es nur mit seinen Bürgern und seine Bürger bilden – in einer Demokratie sollte es jedenfalls so sein – den Staat. „L’état c’est moi“ („der Staat bin ich“) konnte vielleicht Ludwig XIV von sich behaupten, in einer Demokratie aber darf dies weder die Politik, noch irgendein staatlichen Organ. Es darf sich auch niemand so verhalten.
Staatliche Organe „dienen“ dem Staat und damit seinen Bürgern, das impliziert bereits der Begriff „Dienst“. Sie haben daher – über die bürgerlichen Rechte jedes einzelnen hinaus – als Organ keinen eigenen Gestaltungsspielraum. Sie sind „Diener“ und ihre Dienstherren sind die Bürger in der Form des aus Ihnen gebildeten Staates und der staatlichen Grundlagen mit Verfassung und Gesetzen, die sich diese Bürger gegeben haben.
Und genau deshalb unterliegen staatliche Organe einer besonderen Pflicht, das eigene Verhalten ständig gegenüber Recht und Verfassung zu reflektieren und sich in einem besonderen Maße auch jeder Kritik zu stellen, die am rechtsstaatlichen Verhalten zweifelt.
Dort wo staatliche Organe sich über ihre eigentlichen Rechte und Pflichten stellen – als agent provocateur im „schwarzen Block“, als Verfassungsschutzmitarbeiter im Umfeld von NSU-Morden oder bei der Behinderung von Berichterstattung in Dresden – braucht es keine Politiker, die sich schützend vor die Staatsorgane stellen. Hier ist für die Glaubwürdigkeit der Demokratie erst Recht eine offene Debatte und Aufklärung erforderlich.